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TV-Digitalisierung verändert Marketing 

Über viele Jahrzehnte hinweg galt TV als das unangefochtene Leitmedium für den Markenaufbau und die Erzielung schneller und hoher Reichweiten. Doch vor allem die letzten Jahre haben gezeigt, dass dies nicht für immer so bleiben wird. Sinkende Reichweiten und Nutzungsdauern im TV, insbesondere in den jüngeren Zielgruppen von 14 bis 49 Jahren, scheinen nicht mehr aufzuhalten zu sein. In der Altersgruppe der über 50-Jährigen zeigt sich zwar bisher noch eine relative Stabilität der Nutzungsdauer, aber darauf wird sich das Medium auf lange Sicht nicht ausruhen können. Denn die 30 bis 49-Jährigen von heute sind die über 50-Jährigen von morgen. 

Die Grafik zeigt die durchschnittliche Sehdauer im linearen TV

Doch auch wenn die Reichweiten des linearen TVs sinken, heißt dies nicht, dass die TV-Bildschirme schwarz bleiben. Denn Streaming ist das neue Fernsehen und bereits mehr als 60 % der Deutschen streamen regelmäßig Bewegtbildinhalte über Video-on-Demand Plattformen wie Amazon Prime Video, Netflix oder Joyn. Hierbei ist das TV-Gerät das beliebteste Device für den Konsum von Streaming-Inhalten, weshalb es auch weiterhin ein fester Bestandteil deutscher Wohnzimmer bleiben wird. Doch um die Zielgruppen weiterhin erfolgreich auf dem Big Screen werblich zu adressieren, benötigt es neue Wege der digitalen Ansprache: Advanced TV. Advanced TV dient hierbei als Oberbegriff für die im Markt neu etablierten TV-Werbeformen Addressable TV, Connected TV und Programmatic TV. 

Addressable TV für zielgerichtete Werbung im linearen TV 

Addressable TV (ATV) ist die zielgruppengenaue Aussteuerung von TV-Werbung im linearen TV-Programm auf Fernsehgeräten mit Internetverbindung und wird über den sogenannten HbbTV-Standard realisiert. HbbTV steht für „Hybrid Broadcast Broadband TV“ und ist ein offizieller Standard des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI). Dieser ermöglicht die Verknüpfung von linearen Fernsehinhalten mit non-linearen Inhalten des World Wide Web. Die dabei übertragenen Inhalte bieten sowohl für die Nutzer und Nutzerinnen als auch für Werbetreibende vielfältige interaktive Möglichkeiten wie zum Beispiel Spot Overlays im Live TV oder das Aufrufen von Microsites. Das Standardformat im Bereich Addressable TV ist das SwitchIn XXL, ein L-förmiger Banner, der sich nach dem Ein- oder Umschaltvorgang um das Bild der laufenden Sendung legt.

Darüber hinaus gibt es den sogenannten ATV-Spot, welcher zwischen 10 und 30 Sekunden lang sein kann und im regulären TV-Werbeblock platziert wird. Das Besondere hierbei ist, dass eine dynamische Überblendung eines laufenden Spots erfolgt, welche die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht aktiv wahrnehmen. Anders als im klassischen, linearen TV üblich, bekommen Zuschauerinnen und Zuschauer des gleichen Werbeblocks entsprechend nicht zwangsweise dieselben Werbe-Spots zu sehen. 

Advanced TV

Addressable TV zeichnet sich durch eine Vielzahl an Targetingmöglichkeiten aus. So können Kampagnen unter anderem geo- oder soziodemografisch sowie interessens- oder auch contentbasiert ausgespielt werden. Ebenfalls positiv hervorzuheben sind die Flexibilität der Kampagnensteuerung und Messmöglichkeiten, die die programmatische Buchung dieser Werbeform ermöglicht. So können in der Demand-Side-Plattform (DSP) tagesaktuelle Daten, zum Beispiel zur Kontaktmenge oder auch den bespielten Sendungen, eingesehen werden. Auch kurzfristige Anpassungen von Laufzeiten oder Budgets sind jederzeit möglich.

Im direkten Vergleich zum klassischen, linearen TV, bietet ATV bisher eine noch begrenzte Reichweite. Etwa 12 Millionen TV-Geräte in Deutschland erfüllen aktuell die benötigen Voraussetzungen in Form der Internetkonnektivität sowie der Unterstützung des HbbTV-Standards. Für den ATV-Spot ist die Reichweite aufgrund des mindestens notwendigen HbbTV 1.5 Standards noch geringer.

Nicht zuletzt zeichnet sich Addressable TV aber insbesondere durch die möglichen Verzahnungsoptionen mit weiteren Digitalmaßnahmen aus. So können beispielsweise User, die bereits Kontakt mit einer Addressable TV-Werbeform hatten, mit Hilfe eines Haushaltsgraphen erneut auf anderen Devices des gleichen Haushalts angesprochen werden. So wird erstmalig nahtloses Storytelling über das TV-Gerät hinaus ermöglicht. 

Connected TV als Schlüssel zur jüngeren Zielgruppe 

Neben Addressable TV ist Connected TV (CTV) eine weitere digitale TV-Werbeform, die besonders in den letzten Jahren ein enormes Wachstum erlebt hat. Während es sich bei Addressable TV um digitale, werbliche Inhalte im linearen TV handelt, befinden sich diese Inhalte bei CTV innerhalb von Apps, die auf einen Internetzugang angewiesen sind und entweder direkt auf dem Fernseher oder auf Peripheriegeräten wie Amazon Fire TV, Apple TV oder Spielekonsolen installiert sind.

Connected TV als Werbeform findet daher in einem non-linearen Umfeld statt (mit Ausnahme von Live-TV-Streaming-Angeboten) und spricht so vor allem jüngere Nutzergruppen an. Standardmäßig liegt bei CTV der Fokus auf Bewegtbild-Formaten wie Pre- und Midrolls, welche zwischen 15 und 30 Sekunden lang sind. Doch auch vereinzelte Displayoptionen, welche sich in die Bedienoberfläche der Smart TVs integrieren lassen, wurden von einigen Publishern entwickelt. Connected TV überzeugt vor allem durch seine hohe, effiziente Reichweite auf dem TV-Gerät.

Während der lineare TV-Markt in Deutschland durch die beiden großen TV-Häuser ProsiebenSat1. und RTL geprägt ist, ist der CTV-Markt deutlich diversifizierter. So setzt sich der Markt zusammen aus internationalen Anbietern wie Samsung TV Plus oder Pluto TV, nationalen Angeboten wie Joyn und RTL+, sowie den Streamingriesen Netflix und Amazon. Letztere haben das Thema CTV durch die Einführung von ad-supported Tiers (z. B. Netflix und Disney+) und dem Launch der werbefinanzierten Streaming-Plattform Freevee (Amazon) nochmals beflügelt und auch die Ankündigung, dass Amazon Prime Video in Zukunft werblich zu belegen sein wird, bestärkt die CTV-Reichweiten deutlich.

Ähnlich wie Addressable TV zeichnet sich Connected TV ebenfalls durch eine hohe Flexibilität und Messbarkeit aus. Erste Marktforschungsanbieter und Tools ermöglichen eine übergreifende Messung von Connected TV-Kampagnen, wodurch ein Nachweis der Kampagnenerfolge erbracht werden kann. Dennoch bedarf der CTV-Markt weiterer Standardisierung, beispielsweise bei der konsistenten Übergabe von Identifiern. Nicht alle Publisher übergeben bisher CTV IDs im Bid Request, wodurch Frequency Capping entweder erschwert oder die Reichweite durch den Ausschluss des non-identifiable Inventars reduziert wird. CTV zeichnet sich schon heute durch hohe Reichweiten, insbesondere in der jüngeren Zielgruppe, aus und profitiert von den Möglichkeiten der zielgerichteten Ansprache der Nutzer bzw. Haushalte unter Hinzunahme von Geo-, Nutzungs- und Registrierungsdaten.

Weiterhin wird CTV der voraussichtlich am stärksten wachsende Teil des Advanced TVs sein, getrieben durch wachsende Nutzerzahlen sowie die vermehrte Einführung von ad-supported Tiers der Streaming-Plattformen, weshalb CTV zukünftig Teil einer jeden digitalen Bewegtbildplanung sein sollte. 

Programmatic TV für maximale Reichweiten 

Als dritte Werbeform hat sich in den letzten zwei Jahren, neben Addressable TV und Connected TV, Programmatic TV (PTV) entwickelt. Ähnlich wie bei Addressable TV findet die werbliche Ausstrahlung von Programmatic TV im linearen TV-Programm statt. Signifikanter Unterschied ist aber, dass die Ausspielung nicht nur auf bestimmten TV-Geräten stattfindet, sondern im gesamten Unterbrecherwerbeblock auf jedem TV-Gerät in Deutschland.

Da Programmatic TV keine Internetverbindung des TV-Geräts benötigt, bietet PTV eine entsprechend deutlich höhere Reichweite. Anders als bei CTV und ATV werden hier allerdings nicht gezielt einzelne TV-Geräte adressiert, sondern, wie von linearer TV-Werbung gewohnt, alle Geräte eines Werbeblocks angesprochen. Dennoch werden die Spots hierbei über einen Adserver, auf Basis von Alter und Geschlechts sowie kontextuellen Informationen, auf die gebuchte Zielgruppe hin optimiert und abgerechnet. Die Kombination von hoher Reichweite und zielgruppen-optimierter Ausspielung resultiert hierbei in effizienten Zielgruppen-TKPs. Kontakte, die zusätzlich außerhalb der gebuchten Zielgruppe generiert werden, können somit als Streugewinne klassifiziert werden.

PTV ist die jüngste Werbeform des Advanced TV, weshalb einige Targeting- und Verzahnungsoptionen, welche für CTV und ATV bereits regelmäßig Anwendung finden, im Bereich PTV bisher nicht möglich sind. So beschränken sich die Targetingmöglichkeiten bei Programmatic TV auf Alter- und Geschlechter-Targetings sowie kontextuelle Ansätze und auch die Verzahnung von PTV mit weiteren digitalen Kanälen befindet sich noch in der Entwicklung. Formatseitig kommen bei PTV-Spots zum Einsatz, deren Länge flexibel ist. Statische Werbemittelvarianten sind nicht vorhanden. Da der Einkauf von PTV ebenfalls über eine DSP realisiert wird, ist erstmalig eine holistische Kampagnenübersicht über alle Bewegtbildmaßnahmen, sei es Addressable TV, Connected TV oder Programmatic TV, gegeben. Die Komplexität für die Mediaplaner und Mediaplanerinnen im Bereich TV ist hierdurch jedoch deutlich gestiegen. Jede Variante bietet verschiedene Vor- und Nachteile, welche es bei der Mediaplanung, in Abhängigkeit der Zielsetzung und Zielgruppen, zu berücksichtigen gilt. 

Vergleich Addressable, Connected und Programmatic TV

Fazit und Ausblick

Schon heute sind die Möglichkeiten von Advanced TV, mit Blick auf Targetings, Messbarkeit und Verzahnung, vielfältiger als klassisches TV es je erreichen könnte und dennoch ist die Entwicklung digitaler, werblicher Lösungen auf dem Big Screen weiterhin in vollem Gange: Die Möglichkeiten der Verzahnung von CTV, ATV und PTV untereinander, sowie die Verzahnung mit weiteren digitalen Kanälen wird bereits aktiv genutzt, hat aber noch nicht ihren Zenit erreicht.

Wo aktuell noch Lücken in der Verzahnung vorhanden sind, werden zeitnah Brücken entstehen, um eine lückenlose Steuerung von TV-Kampagnen im Rahmen einer holistischen Digitalkampagne zu ermöglichen. Targetings sind schon heute präziser als es für klassische TV-Kampagnen vor einigen Jahren je denkbar gewesen wäre. Die Nutzung von First-Party Daten, TV-Verhaltensdaten, Registrierungsdaten und Co. wird die Genauigkeit von Targetings und vor allem auch der Messbarkeit der Kampagnenerfolge weiter verbessern.

Neue Player kommen auf den Markt, etablierte Streaming-Plattformen wie Netflix und Amazon erschließen neue Revenue-Streams durch werbefinanzierte Streaming-Angebote und auch die bewährten TV-Häuser erkennen den Trend und entwickeln eigene Streaming-Angebote und entsprechende Advertising-Lösungen. Die Komplexität der Bewegtbildplanung nimmt durch die Digitalisierung noch einmal zu. Für Werbetreibende, die auch in Zukunft ihre Zielgruppen auf dem Big Screen erreichen und erfolgreich Reichweite aufbauen möchten, empfiehlt es sich daher verstärkt explizite Digitalexpertise in die Bewegtbildplanung einzubinden und den Media-Mix entsprechend zu adjustieren. Denn TV-Werbung ist nicht tot, aber sie verändert sich drastisch. TV wird digital und damit ergeben sich neue, innovative Möglichkeiten für Werbetreibende, welche es zu nutzen gilt.